Otto Schmidt Verlag


FG Niedersachsen v. 16.5.2023 - 9 K 90/22

Anwendung von Korrekturnormen bei Veranlagungen unter Verwendung eines Risikomanagementsystems

Das FG Niedersachsen hatte darüber zu entscheiden, ob das Finanzamt die bei Veranlagung in zu geringer Höhe als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung angesetzten Vorsteuererstattungsbeträge nach formeller Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids korrigieren darf, wenn eine Überprüfung des Zahlungsvorgangs aufgrund des Risikomanagementsystems im Rahmen der Veranlagung unterblieben war.

Der Sachverhalt:
Im Streitfall vermietete der Kläger Praxisräume an seine Ehefrau, die Klägerin, für den Betrieb einer Praxis für Fußpflege und Nageldesign. Nach Durchführung einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung erstattete das Finanzamt dem Kläger im Streitjahr 2016 die aus der Herstellung der Praxisräume resultierenden Vorsteuerbeträge in Höhe von 23.023 €. Auf den Einspruch des Klägers hin erstattete das Finanzamt sodann – ebenfalls im Streitjahr - weitere Vorsteuerbeträge in Höhe von 163 €.

In der Einkommensteuererklärung für 2016 erfasste die vom Kläger beauftragte Steuerberatungspraxis bei den Einnahmen aus Vermietung versehentlich nur die Erstattungsbeträge aus den geänderten Umsatzsteuerfestsetzungen in Höhe von 163 €, nicht aber die Erstattungsbeträge aus den erstmaligen Bescheiden über 23.023 €. Das Finanzamt übernahm bei Veranlagung diese Unrichtigkeit und führte keine Überprüfung der Angaben des Klägers durch, weil das Risikomanagementsystem keinen Prüfhinweis erteilte.

Nachdem das Finanzamt den Fehler im Rahmen einer späteren Außenprüfung aufgedeckte, änderte es den Einkommensteuerbescheid für 2016 und erfasste nunmehr auch die Vorsteuererstattungsbeträge aus den erstmaligen Bescheiden.

Das FG hat - nach erfolglosem Einspruchsverfahren - der hiergegen gerichteten Klage der Kläger stattgegeben. Das FG hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen.

Die Gründe:
Das Finanzamt ist nicht berechtigt gewesen, die bestandskräftige Einkommensteuerveranlagung zu korrigieren. Eine Änderung nach § 173 AO wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen scheidet aus, weil dem Finanzamt die Höhe der tatsächlich erstatteten Vorsteuern bei Veranlagung bekannt gewesen ist. Das Finanzamt ist bei Veranlagung verpflichtet gewesen, diese ihr bekannte Tatsache auszuwerten, wenngleich das Risikomanagementsystem der Sachbearbeiterin des Finanzamts bei Veranlagung keinen Prüfhinweis erteilt hat.

Eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung kommt aber auch nach der Regelung des § 173a AO, die mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.7.2016 (BGBl I 2016, 1679) gerade im Hinblick auf die automationsgestützte Veranlagung eingeführt wurde, nicht in Betracht. Denn die Regelung erfasst nur Schreib- und Rechenfehler, nicht hingegen - wie die Regelung des § 129 AO - auch sonstige offenbare Unrichtigkeiten, wie mechanische Versehen.

Schlussendlich zu verneinen ist auch eine Berichtigung der Einkommensteuerfestsetzung nach § 129 AO. Zum einen ist die unrichtige Angabe der Vorsteuererstattungshöhe nicht klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar gewesen. Zum anderen kann das Finanzamt eine Unrichtigkeit aus der Sphäre des Steuerpflichtigen nicht als „eigene Unrichtigkeit“ übernehmen, wenn der Besteuerungssachverhalt, dem die Unrichtigkeit anhaftet, nicht als prüfungsbedürftig ausgesteuert und überprüft wird.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Änderung von Steuerbescheiden - Änderungsbefugnis nach § 175b AO
FG Münster vom 14.8.2023 - 8 K 294/23 E

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.10.2023 16:16
Quelle: FG Niedersachsen PM vom 19.7.2023

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