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Bodenrichtwerte im grundsteuerlichen Bewertungsrecht und Rechtsschutz (Krumm, FR 2023, 957)

Das neue Bundesbewertungsrecht für Grundsteuerzwecke folgt einem Zonenwertkonzept, wonach der Bodenrichtwert grundsätzlich für alle Grundstücke, die innerhalb der Bodenrichtwertzone liegen, verbindlich ist. Anpassungen an die Grundstückseigenschaften des zu bewertenden Grundstücks sind grundsätzlich nicht zulässig und der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes ist ausgeschlossen. Der nachfolgende Beitrag betrachtet die sich gleichwohl innerhalb dieses Zonenwertkonzept auftuenden Ausnahmen von der Bindungswirkung und befasst sich mit der Frage des Rechtsschutzes „gegen“ die Bodenrichtwerte.

I. Bodenrichtwert und Bewertung für (Grund-)Steuerzwecke
II. Der Bodenrichtwert als sachverständig ermitteltes Bewertungsdatum für ein „Mustergrundstück“
III. Die Maßgeblichkeit des Zonenwertes und ihre Durchbrechung nach § 15 Abs. 2 ImmoWertV
IV. Die Berücksichtigung von Abweichungen in Ansehung des Entwicklungszustandes nach § 247 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BewG
V. Rechtsnatur und Verbindlichkeit der ermittelten Bodenrichtwerte
VI. Gerichtliche Kontrolle der Grundsteuerwertermittlung

1. Beurteilungsspielraum der Gutachterausschüsse hinsichtlich der Bodenrichtwerte und seine Grenzen
2. Rechtswidrige Bodenrichtwerte und Fehlerfolge
VIII. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegenüber dem Gutachterausschuss
IX. Verfassungsrechtliche Gesamtbetrachtung
X. Resümee



I. Bodenrichtwert und Bewertung für (Grund-)Steuerzwecke
Auf dem Weg zum Verkehrswert eines unbebauten Grundstücks kommt man vielfach nicht an dem sog. Bodenrichtwert vorbei. Hierbei handelt es sich um einen Durchschnittswert pro Quadratmeter der Grundstücksfläche („durchschnittlicher Lagewert“), der für ein bestimmtes Gebiet mit im Wesentlichen gleichen Nutzungs- und Wertverhältnissen ermittelt wird, und sich immer auf das sog. Bodenrichtwertgrundstück bezieht (vgl. § 196 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Diesem Grundstück sind bestimmte wesentliche wertbeeinflussende Merkmale zugeschrieben worden, die von den Gutachterausschüssen zu benennen sind. Das sind insbesondere der Entwicklungszustand, die Art der Nutzung, das Maß der baulichen Nutzung und die Grundstücksgröße bzw. -tiefe (vgl. § 16 Abs. 2 ImmoWertV i.V.m. Anlage 5 zur ImmoWertV). Das Bodenrichtwertgrundstück ist ein „fiktives Mustergrundstück“, dessen Grundstücksmerkmale weitgehend mit den vorherrschenden grund- und bodenbeeinflussenden Grundstücksmerkmalen in der Bodenrichtwertzone übereinstimmen müssen (§ 13 Abs. 2 ImmoWertV), das also innerhalb der Bodenrichtwertzone als typisch angesehen werden kann.

Dieser Vorgehensweise ist es eigen, dass das Bodenrichtwertgrundstück (das „Mustergrundstück“) keine grundstücksspezifischen Eigenschaften des konkret zu bewertenden Grundstücks berücksichtigen kann. Daher muss der Bodenrichtwert in der Bewertungspraxis nicht selten an die grundstücksspezifischen Eigenschaften des konkret zu bewertenden Grundstücks angepasst werden. Dies geschieht vor allem mit Hilfe von Anpassungsvorgaben, die die Gutachterausschüsse typischerweise in ihren Grundstücksmarktberichten benennen bzw. die aus den elektronischen Portalen (BORIS) ablesbar sind. Solche Anpassungen des Bodenrichtwertes in Bezug auf das konkret zu bewertende Grundstück sind vor allem in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung (vor allem der Geschossflächenzahl, welche angibt, wie viel qm Geschossfläche je qm Grundstücksfläche zulässig sind, § 20 Abs. 2 BauNVO), die Grundstücksgröße, die Grundstückstiefe und den Erschließungsbeitragszustand häufig anzutreffen.

Sind Grundstücke für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer zu bewerten (Bedarfsbewertung, §§ 176 ff. BewG) sind die Anpassungsvorgaben der Gutachterausschüsse zu berücksichtigen. Das gilt sowohl für die Bewertung unbebauter Grundstücke (§ 179 BewG) als auch bebauter Grundstücke, soweit hier auf den Bodenwert zurückgegriffen wird (vgl. § 184 Abs. 2 BewG für das Ertragswertverfahren). Andere den Wert beeinflussende Faktoren wie z.B. Lärm-, Staub-, Geruchsbelästigungen, Oberflächenbeschaffenheit, Denkmalschutz, Altlasten und Ähnliches dürfen hingegen nicht berücksichtigt werden. Trotz der Nichtberücksichtigung der letztgenannten Faktoren geht die Ermittlung des Bodenwertes in den meisten Bedarfsbewertungsfällen „geräuschlos“ vonstatten. Die vom Gutachterausschuss vorgegebenen Anpassungsmöglichkeiten führen vielfach zu einer vom Steuerpflichtigen zumindest als ausreichend empfundenen Anpassung an die individuellen Verhältnisse. Ist dies nicht der Fall, bleibt es ihm unbenommen, einen niedrigeren gemeinen Wert nach Maßgabe des § 198 BewG nachzuweisen – entweder durch ein Gutachten (§ 198 Abs. 2 BewG) oder durch einen zeitnahen Kaufpreis (§ 198 Abs. 3 BewG).

Bei der Grundsteuer hat die Verwaltung hingegen eine deutlich höhere Fallzahl zu bewältigen. Bundesweit sind 32 Millionen wirtschaftliche Einheiten des Grundvermögens zu bewerten und dies in regelmäßigen Abständen (nach dem Bundesgrundsteuerrecht und den meisten Landesgrundsteuergesetzen: alle sieben Jahre). Sowohl der Bundesgesetzgeber als auch die abweichenden Landesgesetzgeber versuchen dieser Masse durch ein möglichst automationsfreundliches Grundsteuerrecht Herr zu werden. Beschränkt man den Blick auf die in diesem Beitrag im Mittelpunkt stehenden Bodenrichtwerte und das Bundesgrundsteuerrecht, ist ein Baustein dieser Automationsstrategie die grundsätzliche Maßgeblichkeit des sog. Zonenwertes: Gemäß § 247 Abs. 1 Satz 1 BewG ermittelt sich der Grundsteuerwert unbebauter Grundstücke durch die Multiplikation des Bodenrichtwertes mit der Fläche. § 247 Abs. 1 Satz 2 BewG schließt Anpassungen des Bodenrichtwertes wegen Abweichungen zwischen den Grundstücksmerkmalen des Bodenrichtwertgrundstücks und des zu bewertenden Grundstücks grundsätzlich aus. Der Bodenrichtwert einer Bodenrichtwertzone ist mithin für alle in dieser Zone gelegenen Grundstücke gleichermaßen verbindlich und dies ohne Rücksicht auf die Unterschiede, die zwischen den Grundstücken bestehen (deshalb: Maßgeblichkeit des „Zonenwertes“). Lediglich ein abweichender Entwicklungszustand ist zu berücksichtigen (§ 247 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BewG); zudem muss bei überlagernden Bodenrichtwertzonen, in denen mehr als ein Bodenrichtwert existiert, der passendere Bodenrichtwert bestimmt werden (§ 247 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BewG). Diese „massenvollzugsfreundliche“ Maßgeblichkeit des Zonenwertes wird im Übrigen dadurch abgesichert, dass der Nachweis eines niedrigeren gemeinen (individuellen) Bodenwertes nicht zugelassen ist. Hat der Gutachterausschuss indes keinen Bodenrichtwert ermittelt, sieht § 247 Abs. 3 BewG eine Reservekompetenz der Finanzbehörde zur Ableitung des Wertes des unbebauten Grundstücks vor.

Das Konzept des Zonenwertes gilt letztlich für alle wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens. Denn die Wertermittlungsvorschriften für bebaute Grundstücke greifen auf den Bodenwert zurück, wie er nach § 247 BewG zu ermitteln ist und zwar als Teilkomponente des Ertragswertes (dort als abgezinster Bodenwert, § 257 Abs. 1 Satz 1 BewG, mit Anpassungen wegen der Grundstücksgröße bei Ein- und Zweifamilienhäusern in § 257 Abs. 1 Satz 2 BewG i.V.m. Anlage 36) und des Sachwertes (dort als Teil des vorläufigen Sachwertes, § 258 Abs. 2, Abs. 3 BewG).

II. Der Bodenrichtwert als sachverständig ermitteltes Bewertungsdatum für ein „Mustergrundstück“
Die Bodenrichtwerte werden von den Gutachterausschüssen ermittelt. Sie sind Behörden, die als außerhalb der Hierarchie des Staatsaufbaus angesiedeltes und mit fachlich kompetenten Mitgliedern besetztes Kollegialorgan ausgestaltet sind. Die Gutachter sind sachlich und persönlich unabhängig und nur an die formellen und materiellen Normen gebunden. Die Organisation unterliegt Landesrecht. In Nordrhein-Westfalen wird z.B. ....
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 02.11.2023 14:41
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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